
Wie viele andere evangelische Glaubensbekenntnisse speisten sich auch die Baptisten dies- und jenseits der Oder aus der pommerschen Erweckungsbewegung. Ein wichtiges Element ist bei den Baptisten die Gläubigentaufe, die von den Gläubigen selbst begehrt wird und Merkmal vieler evangelischer Freikirchen, wie der Mennoniten, der Pfingstler oder der Siebenten-Tags-Adventisten, ist.
Damit beziehen sich die Baptisten ebenso auf die Glaubenstaufen, die schon im neuen Testament erwähnt werden, und stehen auch in der Tradition der in Zeiten der Reformation aufgekommenen Täuferbewegung. Die Glaubensrichtung der Baptisten kam im Jahre 1834 in Deutschland auf. Und nur wenig später, im Jahre 1846, wurde die Stettiner Gemeinde der Baptisten gegründet. 1855 wurde hier die Baptistenkapelle erbaut, die heute als „Christliches Zentrum Stettin“ bekannt ist.
Wie viele Baptistengemeinden in Deutschland steht auch die Geschichte der Stettiner Baptisten in einem direkten Bezug zu dem Friesländer Begründer der deutschen und kontinentaleuropäischen Baptistenbünde Johann Gerhard Oncken (1800-1884). Er erlernte den Beruf des Kaufmanns in England und kam hier auch mit der methodistischen Erweckungsbewegung in Verbindung.

So kehrte er als überzeugter Christ nach Deutschland zurück. In Hamburg begann er seine Missionsarbeit. Teil dieser war auch die mit einem lutherischen Pastor begonnene Sonntagsschularbeit, die später Keimzelle der von Johann Hinrich Wichern (1808-1881) ins Leben gerufenen „Inneren Mission“ (ab 1836 von ihm geprägter Begriff, dieser meinte die Mission unter getauften Christen der Staatskirche). Wichern war übrigens zu 6 nachhaltigen Missionsreisen in Pommern.
Doch zurück zu Oncken: Seine Erkenntnis nach dem Studium der Bibel war, dass eine Bindung der Kirche an den Staat unbiblisch sei. Mit den Fragen, die sich daraus für ihn stellten, wandte er sich zunächst an den schottischen Laienprediger Robert Haldane, der ihm zur Selbsttaufe riet und auf den Begründer der baptistischen Bewegung, John Smyth, verwies. Doch zum Anschluss an die Baptisten kam es erst durch den amerikanischen Kapitän Calvin Tubb.
Tubb, der in Hamburg wegen Eisgangs überwinterte, fand Aufnahme bei Onckens Familie. Hier fand ein erster Gedankenaustausch zu den baptistischen Vorstellungen statt. Nach Tubbs Rückkehr stellte dieser den Kontakt zwischen dem baptistischen Theologieprofessor Bamas Sears und Oncken her. So kam es 1834 letztlich dann zur Taufe Onckens und sechs weiterer Taufbewerber und zur Gründung der ersten deutschen Baptistengemeinde, der „Gemeinde gläubig getaufter Christen“.
Oncken, der von Sears zum Ältesten und Prediger eingesetzt wurde, machte sich nun ans Werk, um von Hamburg aus weitere Gemeinden ins Leben zu rufen. 1837: Berlin und Oldenburg, 1838: Stuttgart, 1840: Jever, 1846: Ihren, die Mutter aller ostfriesischen Gemeinden sowie Keimzelle des niederländischen Baptismus, und Stettin. Übrigens sollte die Stettiner Kapelle zu den ältesten, noch erhaltenen und von Oncken eingeweihten Versammlungsstätten werden.
Allerdings wurde – das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden – die Mission von der Landeskirche argwöhnisch beobachtet, da die Baptisten nicht nur aus der bereits erwähnten pommerschen Erweckungsbewegung sondern auch aus der Landeskirche Zulauf erhielten. So sprach man vom „bekannten Agenten“ der „Amerikanischen Bibelgesellschaft“, gemeint war Oncken, der „von Hamburg“ aus, „baptistische Irrlehren“ verbreite.
Bereits kurz nach Gründung der Gemeinde war die Anzahl der Mitglieder auf 138 angewachsen, Dann, 1854, hatte man das Grundstück zum Bau der Kapelle erworben, wodurch die Taufen nicht mehr im Freien durchgeführt werden mussten – dies war in Stettin zunächst als Ärgernis angesehen worden und begründete auch die erste abschlägige Antwort (am 5. Februar 1855) der Bitte um die staatliche Anerkennung der Gemeinde. Diakon war zu jener Zeit der Fischermeister Ludwig Stabenow.
Einer Petition – dem zweiten Anlauf zur Anerkennung der Baptisten Gemeinde – folgte die Überweisung an die Königliche preußische Staatsregierung mit der Empfehlung diese zu berücksichtigen. Der Zuwachs der Gemeinde war rasant: 1875 wurden bereits über 400 Mitglieder verzeichnet. Neben dem bereits erwähnten Grundstück, welches nach Abzug der Grundbuchschuld noch jährlich 1.000 Reichsthaler einbrachte, wurden in der Gemeinde 2.700 Reichsthaler (!) an Beiträgen aufgebracht.
Auch waren weitere pommersche Baptistengemeinden zwischenzeitlich gegründet worden: So in Stralsund, Wolgast, Bernsdorf und Kahlberg, die aber wahrscheinlich mit ihren Mitgliederzahlen in einigen Publikationen zu Stettin gerechnet wurden. Es ist anzunehmen, das die Gesamtzahl der Baptisten in Pommern 1875 etwa 535 Mitglieder betrug.
Die Entwicklung der Stettiner Baptistengemeinde endete zunächst 1945. Die deutschen Gemeindemitglieder wurden vertrieben und die durch den Krieg unversehrt überstandene Kapelle vom polnischen Staat, der das Gebiet Stettins verwaltete, beschlagnahmt. In das Gebäude wurden Wohnungen eingebaut – allerdings wurde der Gemeindesaal davon ausgenommen, weshalb er durch polnische Baptisten zunächst angemietet werden konnte. 2002 erfolgte die Übertragung des Hauses auf die Stettiner Baptisten-Gemeinde.

Nun, nach Krieg und dem Fall von Berliner Mauer und „eisernem Vorhang“, haben sich die Baptisten dies- und jenseits der Oder angenähert. Dies führte dazu, dass auch die Idee zum Aufbau des „Christliches Zentrum Stettin“ in der 1855 in Stettin gebauten Baptistenkirche entstand. Der Gedanke wurde stetig vorangetrieben, so dass Pastor Robert Merecz 2020 bereits feststellen konnte:
„Durch das Projekt habe ich erstaunliche deutsche Geschwister von der ‚AG Stettin‘ getroffen und mit ihnen zusammengearbeitet, die selbstlos und großzügig ihre Zeit und ihr Geld eingesetzt haben, um uns bei der Renovierung des ältesten baptistischen Kirchengebäudes in Polen zu helfen.“
2018 hatte sich bereits ein Förderkreis „Christliches Zentrum Stettin“ gegründet und es wurden Mittel zur Realisierung eingeworben. Angesichts des Zustandes des Gebäudes mit einem langen Sanierungsstau waren die Herausforderungen zum Umbau hoch. Doch bereits am 15. Januar 2023 konnte ein erster Eröffnungsgottesdienst mit 235 Teilnehmern stattfinden, der von Deutschen und Polen von dies und jenseits der Oder gestaltet und besucht wurde.
Heute ist hier das „Christliches Zentrum Stettin“ in der Stettiner Kapelle entstanden, welches der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen dient, eine internationale Ausrichtung hat, u. a. Sprachkurse in Deutsch und Englisch anbietet und über einen renovierten Gemeindesaal mit etwa 300 Plätzen sowie eine Cafeteria verfügt. Insgesamt waren dazu Mittel in Höhe von 1,8 Mio. EUR notwendig – aufgebracht auch durch Spenden und zinslose Darlehen.
Um diese Darlehen – insgesamt etwa 600.000 EUR – abzulösen, benötigt die Stettiner Baptisten-Gemeinde nun noch die Unterstützung durch Spenden. Um das vor 150 Jahren begonnen Werk fortzusetzen, kann jede Unterstützung helfen. Großspender ehrt die Gemeinde allerdings sogar mit einem Schild an der Donatoren-Wand an repräsentativer Stelle im Zentrum. (Zur Online-Spende)
Nachtrag:
Viele deutsche Baptisten-Gemeinden gehören heute zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden.



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